Mario Lochner: Heute haben wir eine entscheidende Frage zu klären und zwar kann das alles Zufall sein? Heute gibt Andreas Einblick, wie macht er das? Eigentlich ist er nicht bekannt für Market timing, aber er hat es hinbekommen wie kaum ein anderer in den letzten Jahren. Im Tief hast du nachgekauft und damit das Tief erwischt. Jetzt könnte man sagen “Einmal ja gut, das trifft vielleicht jeder mal, jeder hat mal Glück”, aber nein, er hat einfach noch mal getan und zwar vor kurzem Ende Mitte/Ende Juni 2022 einfach wieder das Tief erwischt mit einem Nachkauf. Andreas, wie hast du das hinbekommen?
Andreas Beck: Ja, es ist überraschend, weil wir alle wissen, dass es kein Timing gibt. Dass wir das damals so geschafft haben, war vor allem eine logistische Meisterleistung. Wir haben es auch geschafft, am Tag des Ordners eine fertige Sendung zum Ausstrahlen zu haben, also auch Glückwunsch an dich für diese logistische Meisterleistung. Gehen wir mal darauf ein, wie wir das geschafft haben, um zu zeigen, dass selbst jemand, der mal das richtige Timing erwischt sagt “Das geht nicht”. Es geht um zwei Dinge, die wir da tun. Das eine ist, dass wir in unserer antizyklische Strategie schauen, wann haben wir einen Regimewechsel. Sprich wann sind wir in einer Krise. Das kann ich einfach messen. Das braucht man nicht prognostizieren. Also, wann die Investoren nicht mehr bereit sind, zu den üblichen Konditionen der Weltwirtschaft Kapital zur Verfügung zu stellen. Umgekehrt formuliert: Die Weltwirtschaft muss jetzt plötzlich viel mehr bieten, um an Kapital zu kommen und diese Regime nennt man Krise. Wir nennen es eines Eigenkapitalknappheit und dann ist es besonders interessant breit gestreut dem Markt Kapital zur Verfügung zu stellen.
Mario Lochner: Das ist ganz wichtig, dass der erste Schritt ist, festzustellen, dass es überhaupt eine Krise ist.
Andreas Beck: Genau das keine Kunst. Zu messen, wann eine Krise ist, das kann man sehr handlungssicher machen, weil ich die Kapitalkosten bestimmen kann. Da brauche ich kein Prognosemodell. Das heißt erstmal nur, dass sich für den langfristigen Investor der Erwartungswert in seinem Portfolio erhöht, wenn er jetzt zukauft, weil er sich zu besonders niedrigen Bewertungen Eigenkapitalrentabilität in das Portfolio holt. Das ist eine planbare Größe (wenn die Welt nicht untergeht). Dann ist das etwas, was ich dann in 1, 2, 3 Jahren auszahlt. Man weiß nicht, wie lange die Krise dauert. Dass die Krise zufällig immer direkt an dem Tag, an dem wir gekauft haben, den Tiefpunkt hatte und zufällig am Tag drauf, dann schon nach oben gingen, das hat mit dieser Entscheidung erst mal nichts zu tun. Ich kann immer nur wiederholen: Die Entscheidung, die wir da gefällt haben in den beiden Krisen, wäre auch richtig gewesen, wenn es nachher noch weiter gefallen wäre.
Mario Lochner: Mal eine Zwischenfrage: Du dominierst wahrscheinlich nicht die Märkte weltweit, aber gibt es da schon einen Beck Effekt? Also, dass das viele kopieren oder ist das unmöglich?
Andreas Beck: Das ist Blödsinn. Schauen wir uns noch mal die jüngere Krise an bzw. schauen wir mal, woher man weiß, dass man in der Krise ist. Warum haben wir das jetzt genau absehen können? Dann können wir darauf eingehen, was denn eigentlich so grundsätzlich anders zu der Corona Krise war und dann kommen wir vielleicht noch zu dem Handelszeitpunkt. Ein Regimewechsel heißt ja nicht, dass sozusagen blind am Tag des Regimewechsels die Aktien gekauft werden müssen, sondern es gibt noch weitere Faktoren, die angeschaut werden. Auf die können wir dann auch noch eingehen.
Mario Lochner: Das ist, glaube ich, wichtig, dass wir mal in deinen Maschinenraum blicken: Wie stellst du eine Krise fest? Wie misst du die Krise? Was für ein Apparat wird dann danach in Gang gesetzt? Das ist, glaube ich das, was die Leute interessiert. Also, wo schaust du drauf und was passiert dann? Weil man kauft die Aktien jetzt auch nicht einfach mal auf dem Handy, sondern das ist ja dann schon bei dir mittlerweile auch ein etwas größerer Prozess. Nicht wie bei einer Trading App, dass man einfach mal kurz auf kaufen drückt. Also kommen wir erst mal zum Regimewechsel. Wie kommst du darauf oder wie misst du das? Welche Kennzahl ist entscheidend?
Andreas Beck: Das Entscheidendste ist, um überhaupt von einer Krise sprechen zu können, müssen die Aktienmärkte mindestens 20 Prozent eingebrochen sein zum letzten höchst Zeitpunkt. Ich habe hier eine Grafik mit gebracht, die das mal seit 1970 aufzeigt beim msi-world. Da sind immer die Einbrüche und die Linie ist bei diesen 20 Prozent gezogen. Wir haben die genommen, man hätte aber auch acht, zehn oder 22 nehmen können.
Mario Lochner: Bei 20 Prozent spricht man ja auch von einem Bärenmarkt.
Andreas Beck: Genau vor allem geht es ums Prinzip. Ich kann jedem versprechen, dass man so ein Verfahren natürlich heute so konstruieren kann, das alles in den vergangenen 50 Jahren outperformt hätte, was es gibt. Da muss ich die Schwellen richtig setzen, das ist aber komplett sinnlos und deswegen nehmen wir dann gerne auch die 0815 Schwellen und 20 Prozent ist die des Bärenmarkt, also nehmen wir das. Wenn man die 20 Prozent nimmt, dann sieht man hier, dass es natürlich extreme Krisen gab. Bei Corona ging es halt ganz schnell bergab und ganz schnell wieder bergauf und die 20 Prozent wurden locker gerissen. Wenn wir weiter in die Vergangenheit gehe, haben wir aber nur noch drei Ereignisse. 1975, dann 2002/2003 und dann 2008. Das waren die richtigen Mega-Einbrüche, wo es deutlich über die 20 Prozent hinaus gegangen ist. Aber es gab doch viel mehr Krisen als diese Mega-Ereignisse. Man sieht, dass 20 Prozent ein typischer Wert ist und deswegen darf man sich auch nicht irritieren lassen, dass wir jetzt nicht eine Weltuntergangssituation an den Märkten haben wie zum Beispiel in Corona mit einem Einbruch von 20 Prozent. Das passiert nicht häufig. Da ist schon eine Neubewertung am Markt da. Das ist ein Problem für die Unternehmen. Das ist ein Problem für die Investoren. Man ist da schon in einem anderen Regime.
Mario Lochner: Aber die minus 20 Prozent reichen noch nicht? Das heißt, nicht bei minus 20 Prozent wird automatisch nachgekauft, sondern du schaust dann auch noch genauer hin?
Andreas Beck: Jetzt muss man sich das so vorstellen, wenn man sowas in dem institutionellen Umfeld macht, dann ist es den Investoren ganz wichtig, dass nicht irgendjemand etwas aus einer Laune heraus tut. Das heißt, es gibt definierte Prozesse. Es gibt eine Aufsicht, die Dinge abnimmt. Das Regelwerk sieht vor, dass diese minus 20 Prozent gerissen sein müssen, damit Kapital freigegeben wird zum Aktienkauf. Das ist genau das Gegenteil übrigens zu dem klassischen institutionellen Portfolio, wo nach einem Einbruch das Risikobudget weg ist. Wir kriegen Risikobudget freigestellt. Deswegen ist es antizyklisch. Das heißt, die 20 Prozent sind sozusagen notwendige Voraussetzungen, damit gehandelt wird. Jetzt haben wir verschiedene zusätzliche Kenngrößen, die immer wichtig sind, weil es immer so ganz eigenartige Sondereffekte gibt. Aus irgendwelchen Gründen passiert irgendwas und hat vielleicht gar keine ökonomische Relevanz. Die Daten isoliert zu betrachten, ist am Finanzmarkt immer gefährlich. Deswegen ist es wichtig, dass man das in ein systematischen Kontext bringt. Was wir jetzt vor gut einem Monat gemacht haben ist, dass wir uns die Volatilität angeschaut haben. Die Volatilität ist wiederum sehr wichtig für die Risikobudget Bestimmung im institutionellen Umfeld.
Mario Lochner: Gibt es da eine Marke? Sagt man so über 40?
Andreas Beck: Genau über 40 brennt die Bude aber schon weit darunter über 30, über 28, über 32 sind wir eigentlich schon in einem Maß, wo es value at risk ist und mit dem ganz anderen Hebel gerechnet wird als in normalen Marktphasen. Der nächste Schritt ist, dass wir uns den Anleihenmarkt anschauen. Es geht darum, dass Unternehmen jetzt viel mehr bieten müssen, um an Kapital zu kommen und dann muss ich das auch am Anleihenmarkt sehen. Auch da gibt es eine Realtime-Kennzahl, den Spread, also die Risikoprämie, die ich als Unternehmen zahlen muss, wenn ich eine ausfallgefährdete Anleihe herausgebe vs. bei einer nicht ausfallgefährdeten Anleihe bei gleicher Laufzeit. Die Realtime-Kennzahl kann man sich sehr gut ansehen. Da habe ich hier von einer öffentlich zugänglichen Datenbank von der Amerikanischen Zentralbank am amerikanischen Markt die Risikoprämie, den Spread von ausfallgefährdeten 3b Anleihen zu nicht ausfallgefährdeten Anleihen. Wenn man sich das anschaut, dann sieht man in den historischen Krisen, waren die Ausschläge schon deutlich höher. Eigentlich ist für uns die Schwelle, dass bei der Risikoprämie mindestens eine zwei vor dem Komma stehen muss.
Mario Lochner: Aber da sieht man ja schon große Unterschied. 2008 war der Wahnsinn. Corona sieht man dann wieder deutlicher. Das Jetzt ist flach. Sieht eher nach Kindergeburtstag aus. Aber was sagt diese Zwei dann aus?
Andreas Beck: Wir waren bei 1,9 und haben wir uns gefragt, was macht man? Man geht dann in die Daten rein. Daten sind sozusagen die aggregierten Informationen. Wenn man in die Details reingeht und sich anschaut, welche Unternehmensanleihen machen denn hier diesen Index aus, mit dem das berechnet wird, dann muss man zugestehen, dass bei keinem der relevanten Unternehmen die Ausfallgefahr der Anleihe tatsächlich gestiegen ist. Etwas untypisch für Krisen.
Mario Lochner: Also nach deiner eigentlichen Definition keine Krise?
Andreas Beck: Keine Krise am Anleihenmarkt. Für eine Anleihe ist das Risikoverhältnis ein bisschen anderes. Wenn ich Eigenkapital zur Verfügung stelle, dann ist ein Wirtschaftseinbruch für mich ein Problem, weil die Unternehmensgewinne einbrechen und damit sinkt die Dividende. Für einen anderen Investor stellt es sich ganz anders dar. Ein Anleiheninvestor hat sozusagen eine binäre Welt. Entweder die Anleihe fällt aus oder nicht. Da geht es ausschließlich darum, ob das Ausfallrisiko des Unternehmens steigt. Wenn man sich die Unternehmen anschaut, hat man gesehen, dass sich die Unternehmen gut vorbereitet haben. Sie haben diese extrem starken Jahre genutzt, um Kapitalpuffer aufzubauen und um sich robust aufzubauen. Alle haben schon lange mit steigenden Zinsen gerechnet und die Niedrigzinsphase genutzt, um sich auf der Finanzseite gut aufzustellen. Das kann jetzt immer noch ein Zufall sein, also haben wir uns noch anderen Anleihenindex angeschaut. Diesen sehen wir hier. Das ist die wesentlich schärfere Variante. Das sind die Risikoprämien von Anleihen, die ein noch schlechteres Rating als 3b Anleihen, haben sogenannte junk bonds, also Schrott-Anleihen. Das heißt, dass sie konkret ausfallgefährdet sind bei einem Konjunkturabschwung. Da muss doch die Risikoprämie nach oben gehen und wenn man sich das anschaut, sieht man aber auch, dass wir auch da noch auf dem Niveau Kinderfasching sind.
Mario Lochner: Hat dich das überrascht? Also die stabileren Unternehmen sind ein Hoffnungsschimmer, da gut gewirtschaftet wurde, aber gerade bei den Unternehmen, die hart am Wind segeln, da kann man gerade nicht sagen, dass das perfekte Umfeld ist. Es gibt Probleme von Inflation, Rezessionen, Krieg, Corona Nachwehen. Noch mehr Probleme kann es ja kaum geben. Das muss sich doch irgendwo widerspiegeln oder?
Andreas Beck: Ja, es hat uns überrascht und wir können es auch nicht wirklich erklären. Wir haben uns dann die Unternehmen angeschaut und haben praktisch im Investmentkomitee einen absoluten Konsens: “Wir würden diese Anleihen nicht kaufen zu diesen Risikoprämien”. Man kann nicht immer alles erklären, allerdings steckt dahinter praktisch eine Ökonomie. Also ob die Anleihen ausfallen, hängt sehr stark damit zusammen, wie die finanzielle Ausstattung der Haushalte in den USA ist. Daran kann man dann sehen, was es da für negative Wellen gibt, die sich ausbreiten können. Schauen wir uns mal an, wie die dahinterliegende Ökonomie in den USA aussieht. Da gibt es auch nur ganz wenige Kennzahlen, die da sehr relevant sind, die auch alle von der federal reserve zur Verfügung gestellt werden. Das Erste ist natürlich die Arbeitslosigkeit. Die hat den USA eine ganz andere Bedeutung, weil es da es nicht diese Arbeitslosigkeitsversicherung, die Sozialämter gibt wie hier, sondern wenn jemand arbeitslos wird, kann er seine Kreditkartenschulden nicht bezahlen. Da reagiert die finanzielle Gesamtsituation im Binnenmarkt hochsensibel auf Arbeitslosigkeit. Wenn man sich das anschaut, dann haben wir quasi Vollbeschäftigung. Es gab jüngst ein paar negative Kennzahlen, aber erst auf der peripheren Ebene. Im Prinzip ist die amerikanische Wirtschaft noch extrem stark und was überraschenderweise noch dazukommt, ist stark steigender Löhnen. Wenn man die Inflationkennzahl in den USA zerlegt, dann hat man da vor allem die Komponente, dass die Löhne gestiegen sind. Wenn man dann guckt, wie es mit der finanziellen Ausstattung der privaten Haushalte aussieht, haben wir hier die Kreditkarten in den USA dominante Kennzahl. Wenn wir uns die Entwicklung bei Kreditkartenschuleden anschauen, sehen wir, dass auch hier die Welt in Ordnung ist. Es passt komplett zur Arbeitslosigkeit, passt komplett zu den Spreads bei den Unternehmensanleihen.
Mario Lochner: Also immer noch keine Krise?
Andreas Beck: Die Ökonomie in den USA läuft. Schauen wir uns noch mal andere Daten an. Der Häusermarkt ist ja auch sehr dominant in den USA. Also wie schaut die Ausfallrate der Hypotheken aus? Auch da sieht man keinerlei wirkliche Verwerfungen. Wenn wir schon beim Häusermarkt sind, dann schauen wir uns noch die Hauspreiseentwicklung an. Hier sieht man interessanterweise, dass die Hauspreise in den USA weit höher sind als 2007, als die Hauspreise eingebrochen sind. Wenn man sich die Hauspreise heute anschaut in den USA, kann man sagen: Wir hätten die Krise 2007 nicht gebraucht. Die Hauspreise hätten auch einfach so hoch bleiben können. Heute sind die fast doppelt so hoch.
Mario Lochner: Jetzt könnte man ja die These aufstellen: Der Aktienmarkt läuft weiter voraus. Eigentlich sagt man ja gern, der Anleihenmarkt ist klüger, aber wenn ich das jetzt so sehen, könnte man sagen, wir sehen da vielleicht noch keine Krise, der Aktienmarkt schon? Kommt das dann auch bald alles nach unten oder dreht das bald in eine andere Richtung?
Andreas Beck: Ich wollte mit den Kennzahlen nicht sagen, dass wir keine Krise haben. Ich wollte nur sagen, dass sich das Ausfallrisiko von Unternehmensanleihen im amerikanischen Markt nicht erhöht hat. Insofern können wir sagen, dass es rational ist, den Kriseneinbruch bei der Eigenkapitalversorgung der Unternehmen zu nutzen und den Regimewechsel zu gestalten.
Mario Lochner: Aber gibt es außer diesen 20 Prozent am Anfang keinen anderen Krisenindikator?
Andreas Beck: Der Privatanleger muss sich das Leben einfach machen, wenn er so eine Strategie kopiert. Da kann man wirklich sagen, wenn man sich nur an den 20 Prozent orientiert für den ersten Regimewechsel, 40 für den Zweiten, der dann zugegebenermaßen selten, aber umso werthaltiger ist, das reicht. Das anderes Feinarbeit, damit kann man aus unserer Sicht sagen, da können wir schon Mehrwert liefern, aber das ist so eine Feinarbeit, bevor man die schlecht macht, macht man sie lieber gar nicht und hält sich einfach an das Modell. Von unserer Seite aus mal einen Blick in den Maschinenraum. Welche Kennzahlen sind relevant? Es ist halt oft so, dass nicht alle Daten konsistent zusammenpassen, dann muss man halt dahinter gucken und versuchen, das insgesamt zu verstehen. Dann kann man immer noch eine verhandlungssichere Entscheidung fällen.
Mario Lochner: Noch eine Frage, wenn du dir das alles anschaust, sieht das alles noch relativ stabil aus. Spricht das jetzt für dich eher dafür, dass wir einfach sehr robust sind oder das es im Gegenteil eher richtig scheppern muss?
Andreas Beck: Ich denke, wir sind in einer sehr unterschiedlichen Risikosituationen, wenn man das international betrachten. Für die Europäische Union kann einem Angst und Bange werden. Die Sanktionspolitik, die wir aufgezogen haben, ist drauf und dran, uns das Rückgrat zu brechen. Da geht es nicht nur um Energie. Wenn Russland kein Mittel mehr liefert, ist genauso Schicht im Schacht. Da sitzt Russland an einen viel längeren Hebel, was wir aber schon vorher wussten. Das hat sich eigentlich relativ früh abgezeichnet. Ein Land, das von Rohstoffexporten lebt, die die ganze Welt gierig nachfragt, dem kannst du nur mit Sanktionen schaden, wenn sich die Welt insgesamt auf Sanktionen einigt, aber wenn es nur ein paar Länder machen und ganz Südostasien nicht mitmacht, dann funktioniert das nicht. Alle machen langfristige Verträge mit Russland, was die Lieferung angeht. Wir haben hier eine extreme Wettbewerbsverzerrung auf Kosten von Europa. Man darf sich jetzt nicht blenden lassen, wenn ich bei uns in der früh aufstehe und die faz lese, dann wird man auch jedes mal schlecht. Wenn tatsächlich das Gas abgestellt wird, ist die Existenz der deutsche Industrie gefährdet. Jetzt fängt die EU sich auch noch an zu streiten und auch bei uns gibt es die Inflation. Aus einer internationalen Perspektive muss man sagen, dass man sich um die amerikanische Wirtschaft keine großen Sorgen machen muss. Der Laden läuft. Selbst Kleinigkeiten, wie zum Beispiel der Stau von Frachtschiffen vor Häfen, hat sich in den USA relativ aufgelösten. In Hamburg haben wir das Problem immer noch. In Asien gibt es jetzt dieses besondere Konjunkturprogramm, dass sie mit Rabatt Rohstoffe einkaufen können und damit stehen die gegen uns im Wettbewerb. Insgesamt muss man sagen, dass es für die Weltwirtschaft nicht so schwarz ist, wie sich bei uns anfühlt.
Mario Lochner: Hast du dann nachjustiert? Jetzt bist du ja kein aktiver Investor in dem Sinn, aber es gibt ja auch nicht nur passiv. Hat das einen Einfluss? Hast du Deutschland bzw. Europa irgendwie zurückgefahren aufgrund der Beobachtungen?
Andreas Beck: Wir machen das noch mit einem Gleichwert-Index, wie wir das nennen. Dieser stellt die Bewertung der Unternehmen ins Verhältnis mit den Unternehmensgewinnen, die erwirtschaftet werden. Das hatte schon dazu geführt, dass die amerikanischen Unternehmensgewinnen sich wesentlich stabiler entwickeln als die europäischen, so dass die Gewichtung etwas steigt, aber das macht jetzt den Pott nicht heiß. Da treffen wir keine emotionalen Entscheidungen. Es fällt im Moment ein bisschen schwer auf den Order-Knopf zu drücken beim stoxx 600, aber wir machen es trotzdem.
Mario Lochner: Jetzt ist die Frage, die sich viele stellen was ist dann passiert? Die Budgets sind freigegeben und weiter?
Andreas Beck: Wir machen dieses Verfahren schon länger und dann war die Corona Krise. Der Markt ist 20 Prozent eingebrochen, wir haben nicht geordert. Der Markt ist 25 Prozent eingebrochen, wir haben nicht geordert. Er ist 30 Prozent eingebrochen, wir haben immer noch nicht geordert. Tatsächlich war es dann irgendwie 35 Prozent, als wir dann die Order gemacht haben und das hat aber einen ganz einfachen technischen Grund. Es hat keinen Sinn gemacht zu ordern, weil der Handel nicht funktioniert hat. Die Corona Krise ging so rapide runter, dass die Risikomanagementsysteme überfordert waren. Die Verkäufer wurden ihre Stücke nicht los, die sie aus regulatorischen Gründen schon längst hätten verkaufen müssen. Es waren mehrere relevante Häuser eigentlich buchhalterisch insolvent, weil der Markt auf eine Art und weise nicht mehr funktioniert hat, wie man es sich vorher nicht hätte vorstellen können. Auch der etf Markt hat nicht funktioniert. Größere Blöcke 50, 100, 200 Millionen liquide ishares oder lyxor etf hat man nicht vernünftig platzieren können. Der Handel funktioniert sowieso anders als es sich Privatanleger vorstellen. Wenn ich mit 10.000-20.000 Euro handelt, ist es egal. Das geht immer. Aber wenn ich eine größere Position verkaufen möchte und die Order an die Börse gebe, dann sieht das der market maker. Dann passiert es schon, dass der market maker reagiert und Geld und Briefkurs verschiebt. Es ergibt sich ein gewissen Puffer zum indikativen net asset value zum eigentlich vom System vorgegebenen fairen Wert. Das sieht jetzt der Laie nicht, aber das Brett ist auf der einen Seite theoretisch und auf der anderen gibt es gerade eine große Order. Deswegen macht man es bei den institutionellen Handel anders. Da gibt es eine Plattform, wo man sagt “Ich habe jetzt eine Order von 100 Millionen Euro” und der Händler muss einem die Kurse stellen, bevor er weiß, ob man jetzt kauft oder verkauft. Erst danach legt man die Karten auf den Tisch, ob man kauft oder verkauft. Wenn größere Position bewegt werden, ist im Hintergrund die Hölle los. Vor allem, wenn ganz viele gleichzeitig große Positionen loswerden müssen und die market maker das wissen. Es ist kompliziert. Dann ist natürlich interessant, hinter die Kulissen zu gucken. Was ist jetzt eigentlich los? Da war ganz klar, dass wir nicht blöd sind und machen jetzt eine Kauforder, wenn die anderen ihre Stücke noch gar nicht losgeworden sind. Dann mussten wir halt warten. Das hat 4-5 Handelstage gedauert bis das wieder im Gleichgewicht war und dann haben wir geordert.
Mario Lochner: Dann hast du quasi dabei zuschauen können, wie die Kurse immer attraktiver wurden.
Andreas Beck: Aber für den nicht professionelle Beobachter sah es natürlich komisch aus. Für den sah es nach Willkür aus und das stimmt nicht.
Mario Lochner: Dann könnt ihr das jetzt auch nicht planen bzw. ihr seid abhängig von gewissen Einflüssen. Ihr müssen dann auch einfach schauen, was am Markt los ist.
Andreas Beck: Für mich ist die beste Analogie die des Autopiloten. Diese Regimewechsel, dieses ganze Steuerungssystem, das gibt den Impuls, aber am Ende hat die Letztverantwortung des Investmentkomitee das korrekt umzusetzen. Da muss man gucken, wie der Handel ist, wie das ist, wie jenes ist.
Mario Lochner: Dann kannst du quasi auf den Kaufknopf drücken oder wie man sich das vorstellen? Bei Corona hat das ja nicht funktioniert.
Andreas Beck: Bei Corona hatte der Handel zeitweise nicht funktionieren. Da waren wirklich alle überrascht. Das hatte eine andere Dimension als 2007, 2008. 2007, 2008 hat der Handel auch in gewissen Bereichen nicht funktioniert, aber bei den ganz klassischen Papieren hat es eigentlich immer gut funktioniert. Diesmal hat überhaupt nichts funktioniert. Man muss auch mal gucken, 2008 hat es irgendwie zwölf Monate gedauert, um den Verlust am Aktienmarkt zu produzieren, der innerhalb von drei Wochen in Corona-Krise da war. Das hat eine starke Dynamik. Dieses mal ist es ein ganz anderes Bild. Die Märkte haben angefangen “schlechte Laune” zu bekommen. Da haben erst die tech-Werte verloren, dann kam die Inflation, dann kamen die lock downs in China und am Ende kam dann Putin. Da ist niemand in Handelsschwierigkeiten gekommen. Die Besonderheit war jetzt viel mehr in diesem Fall, dass wir eben an dem Anleihenmarkt diese Stöhr-Impulse haben, die wir erst interpretieren mussten. Trotzdem ist es natürlich auch immer interessant zu gucken, was eigentlich am Markt passiert. Zum Beispiel habe ich ja schon von dir gehört, dass du sagst “Wir sind in der Bärenmarkt-Rally. Das ist ja typisch”. Es kann schon sein, dass du recht hast.
Mario Lochner: Also, ich weiß es nicht, aber es ist ja im Bärenmarkt quasi üblich, dass es hin und her geht. Das heißt nicht, dass es jetzt den großen Crash geben muss, aber die Gegenbewegung ist, dass die Leute ihr Geld erst retten wollen und wenn es hoch geht, das Geld wieder investieren wollen. Also quasi hinterherlaufen.
Andreas Beck: Also ich weiß auch nicht, ob wir in einer Bärenmarkt-Rally sind, weil die die Daten sind heute schon eine Katastrophe.
Mario Lochner: Also ist es momentan unberechenbar?
Andreas Beck: Unberechenbar ist es immer. Als Privatanleger ist es sehr interessant, mal darauf zu achten, wie der Markt auf Informationen reagiert. Der Markt preist Informationen ein, nicht Ereignisse. Das ist immer ganz wichtig. Die Informationen, dass wir jetzt eine hohe Inflation haben und so weiter, das ist halt schon alles eingepreist. Dass wir wahrscheinlich im Winter kein oder fast kein Gas bekommen, ist auch eingepreist. Die ganzen Thematiken sind im Markt schon bekannt und dann muss man davon ausgehen, dass sich das in den Kursen sehr stark widerspiegeln. Am Anfang kommen schlechte Nachrichten und jeder denkt sich “na ja”. Dann reichen kleine, zusätzliche negative Informationen und es geht gleich wieder runter. Den Höhepunkt hat das immer dann, wenn diese Informationen dazu führen, dass nicht nur die Unternehmen einbrechen, sondern alles. Das ist halt dann wieder ein Zeichen, genau hinzuschauen. Dann sind wir in der Krise. Im Moment haben wir seit dem Tiefpunkt acht Prozent plus. Diese acht Prozent sind aber ausschließlich von negativen Nachrichten begleitet gewesen.
Mario Lochner: Die sind aber überwiegend nicht überraschend gewesen oder? Man hat sie auch schon gesehen.
Andreas Beck: Wir haben jetzt wieder so ein Markt, der mit den Informationen sehr dezidiert umgeht. Wenn eine schlechte Nachricht kommt, ist der Markt insgesamt, ist cool. Der Vorstandsvorsitzende von VW wird entlassen, dann gibt es da einen kleinen Einbruch, aber der restliche Automarkt ist davon unberührt. Die Marktphase haben wir insofern, würde ich sagen, niemand weiß, ob es in den nächsten vier Wochen und 20 Prozent nach oben springt oder nochmal 20 Prozent runter geht. Wir sind wieder in einer so ganz normalen Welt. Die Tatsache, dass wir den Regimewechsel gemacht haben vor einem Monat, damit fühle ich mich blendend, weil die acht Prozent Kursgewinn auf der erhöhten Aktienquote, die haben wir schon mitgenommen, die kann uns keiner mehr nehmen. Wie es weitergeht, weiß man jetzt eh nicht. Aber die ganzen schlechten Nachrichten sind halt definitiv drin und vielleicht kommt ja doch irgendwann mal eine gute Nachricht.
Mario Lochner: Ist das der größte Denkfehler momentan, dass sich die Leute aufschreiben, was alles schlecht ist, aber wenn es da jetzt nicht irgendwie ins Extreme abrutscht, die vielleicht noch nicht eingepreist sind, das ist doch alles drin oder?
Andreas Beck: Wenn man Zeit hat und man eine Pro und Contra Liste macht und nur Contra hat, dann war es in der Vergangenheit nie falsch. Dann kauft man zumindest mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu teuer ein. Jetzt dürfen wir natürlich die Sache wieder nicht zu schwarz malen, weil in Corona hatten wir noch eine andere Liga. Da war ja wirklich nicht klar, ob sie überhaupt irgendwie weitergeht. Jetzt ist allen klar, wie die verschiedenen Szenarien aussehen. Man hat auf jeden Fall schon mal so eine Art Risikokarte. Es gibt verschiedene Szenarien. Bei machen hoffen wir, dass diese nicht eintreten, aber man weiß ungefähr, in welchem Spielfeld man sich bewegt und innerhalb dieser Karte liegen die Ereignisse relativ offen. Da würde ich sagen, braucht man keine große Angst haben. Insbesondere sehr viele Privatanleger machen ja Sparplänen und so. Da wird man auf keinen Fall jetzt irgendwie nervös werden und unterbrechen, sondern einfach nicht mehr Zeitung lesen.
Mario Lochner: Was auch viele interessiert, sind Abverkäufe und wie die passieren. Warum das an bestimmten stellen passiert. Was kannst du uns da noch dazu sagen? Warum manchmal gewisse Muster zu erkennen sind?
Andreas Beck: Wir profitieren schon wahnsinnig von der Arbeit aus der revolutionären Portfoliotheorie, insbesondere von der Arbeit von Thorsten Hens. Das ist halt schon so das klassische Kapitalmarktmodell, welches an den Unis noch weltweit gelehrt wird, geht davon aus, dass es ein statisches System ist und in diesem statischen System habe ich eine Optimierungsproblem. Ein Risikorenditeoptimierungsproblem. In diesem statischen System kann ich nichts erklären. Ich kann die ganzen Marktereignisse nicht erklären und deswegen sind die guten Händler alle keine Akademiker. Die guten Akademiker, die würden keine zwei Tage im Handel überleben. Das sind zwei getrennte Welten. Es ist unglaublich, wie groß der Unterscheid zwischen dem, was in der Theorie unterrichtet wird und dem, was in der Praxis funktioniert ist. Diese revolutionäre Ansatz hat diese Brücke geschlagen, der eben den Markt nicht als statisches System sieht, sondern die Preise entstehen irgendwie immer dadurch, dass einer kauft und einer verkauft. Das sind jetzt nicht zehntausende isolierte wilde Ameisen, die alle irgendwas machen, sondern am Ende kann ich das in bestimmte Strategien clustern. Es gibt die Investoren, die mit Risikobudget arbeiten. Dann gibt es die value-Investoren und so weiter. Die stehen alle miteinander in Konkurrenz und dadurch bekommen wir ein dynamische Systeme und auf einmal habe ich diese Diskrepanz nicht mehr und ich kann ein Portfoliomodell bauen, welches konsistent ist mit den Impulsen für die Umsetzung und auch erklärt, warum Handelsdynamiken entstehen. Das hilft uns natürlich wahnsinnig, weil wir damit immer ein Kompass haben.